Das Kino-Auge: experimentelle Filmproduktion im Stadtraum
Schlüsselkompetenz 1 (2 Teilmodule)
LB Patrik Thomas
LB Rupert Jörg
Blockveranstaltungen
Raum N201
How can we understand urban space by film? What view do we find of public space? By producing short doc-umentary films in small groups, we will explore the city in a cinematic way. The results will be shown publicly in the mobile bicycle cinema Ciné Veló Cité.
Wie können wir das Medium Film nutzen, um einen anderen Blick auf den Stadtraum zu werfen und welche Informationen gibt die Stadt preis?
"Ich bin das Kino-Auge. Ich bin ein Baumeister", schrieb der Filmregisseur Dziga Vertov. Wo immer gefilmt wird, fängt die Kamera unweigerlich jene Räume ein, die sich vor ihrer Linse befinden. Doch begnügt sich das Kino nicht damit, existierende Bauwerke abzubilden; mit seinen Methoden der Bewegung, der Cadrage und der Montage durchkreuzt, manipuliert und konstruiert es Architekturen.
Im 19. Jahrhundert, mit dem Aufkommen der Fotografie, bestand die Hoffnung, dass diese neue Technologie die Wahrheit ans Licht bringen und die Gesellschaft verbessern würde. Dieser Optimismus wurde jedoch schnell zunichte gemacht, da die Kameras hauptsächlich dazu verwendet wurden, Illusionen zu erzeugen, anstatt die Wahrheit zu enthüllen. Mittlerweile befinden wir uns nach dem „icon-turn“ in einem "AI-turn", in dem bildgenerierende Algorithmen die Frage nach der Wahrheit des Bildes in ungeahnter Weise auf die Probe stel-len. Welchen Einfluss hat dies auf unsere Sehgewohnheiten? Wie beeinflusst das Sehen durch eine Kamera unseren Blick?
"Die kapitalisierte Zeit stand still. Ohne Zug, ohne Metro, ohne Auto, ohne Arbeit holten die Streikenden die Zeit nach, die sie auf so triste Weise in den Fabriken, auf den Straßen, vor dem Fernseher verloren hatten. Man bummelte herum, man träumte, man lernte zu leben." (René Viénet, Situationisten)
In einem Rückbezug auf die Situationisten, eine avantgardistische Künstlergruppe der 1950-1960er Jahre, werden wir uns auf filmisch-experimentelle Weise den Stadtraum durch die Kamera erschließen. Wie ist der öffentliche Raum organisiert und reglementiert? Wie wird er von den Bewohner:innen der Stadt verwendet? Die Kulturtechnik des Umherschweifens (Walter Benjamins Flanieren) oder Umherirrens (Derivé, Guy Debord) dient uns als experimentelle Form zur erfahrungs- und erlebnisbasierten Neuerschließung des Stadtraums.
In einem Wechsel zwischen Praxis und Theorie werden wir in Kleingruppen filmisch arbeiten und Rückbezüge zur Film- und Kunstgeschichte herstellen. Wie lässt sich die Stadt durch die Kamera beschreiben? Wie beein-flusst die Bildästhetik die damit erzeugten Emotionen? Was passiert außerhalb des Kamerasuchers und wel-che Rolle spielt der Ton dabei?
Das Seminar ist als Blockseminar in drei Blöcken angelegt. Nach einer kurzen Einführungsveranstaltung wer-den wir mit der Kamera verschiedene Stadtviertel erkunden und dabei künstlerische Forschungsmethoden anwenden. Wir erproben verschiedene Formate des Dokumentar- und Experimentalfilms. Gemeinsames Sich-ten und Besprechen des Materials ist ebenso Teil des Seminars wie ein Ausflug in die Filmgeschichte bis hin zur unmittelbaren Gegenwart, wobei auch die Berücksichtigung von KI-Videogeneratoren erfolgt. Ziel ist es, die Stadt durch die Kamera zu erforschen, verschiedene Techniken des Filmhandwerks auf praktische Weise zu erlernen und durch Methoden der Filmanalyse die Erzählweisen filmischer Arbeiten nachvollziehbar zu machen.
Termine:
Erstes Treffen und Einführung: Montag, 25. März 2024, 15:45 Uhr
Sa, 6. April + Mo, 8. April 2024: Block1, jeweils von 10-18h
Sa, 25. Mai + Mo, 27. Mai 2024: Block 2, jeweils von 10-18h
Sa, 8. Juni + Mo, 10. Juni 2024: Block 3, jeweils von 10-18h
Mo, 24. Juni 2024: Abschlussveranstaltung und Filmvorführung im Fahrradkino im öffentlichen Raum, von etwa 18-22h
Lehrende:
Patrik Thomas ist Künstler und Filmemacher. Er lebt in München und Lissabon. Aktuell dreht er einen Doku-mentarfilm über den kulturellen Widerstand in Brasilien und porträtiert dabei selbstorganisierte Filmkollektive im Stadtraum. www.patrikthomas.de
Rupert Jörg: Lebt und arbeitet in München. Studium digitaler Medien und Kunstpädagogik in Wien, Marseille und an der AdBK München (bei Julian Rosefeldt, Hans Scheirl und Stephan Dillemuth). Seit 2019 freischaffen-der Künstler und Medienpädagoge. www.rupertjoerg.com
Filmographie:
Cavalcant: Rien que les heures (1926)
Axel Danielson, Maximilien Van Aertryck: And the King Said, What a Fantastic Machine (2023)
Nikolaus Geyrhalter: Homo Sapiens (2016)
Nikolaus Geyrhalter: Matter out of Place (2022)
Heinz Emigholz: Die letzte Stadt (2020)
Dominik Graf: Der Weg, den wir nicht zusammen gehen (2009) in Deutschland09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation
Christoph Schaub: Brasilia – eine Utopie der Moderne (2007)
Adirley Queiros: A Cidade é Uma Só? (In: Is the City One?) (2011)
Walther Ruttmann: Berlin: Sinfonie einer Großstadt (1927)
Thomas Schadt: Berlin: Sinfonie einer Großstadt (2002)
Dziga Vertov: Der Mann mit der Kamera (1929)
Volker Heise und 68 weitere: 24h Berlin – Ein Tag im Leben (2009)
Bibliographie:
Guy Debord (1996), In: Klaus Bittermann (Hg.): Die Gesellschaft des Spektakels.
Harbrecht, K., Struve, K., Tüting, E., & Febel, G. (2019). Die un-sichtbare Stadt: Urbane Perspektiven, alterna-tive Räume und Randfiguren in Literatur und Film.
Hungar, O. M. (2010). Stadt und Film im Kontext von Architektur und Stadtplanung.
Lubkowitz, A. (2019). Psychogeografie.
Hagener, M., & Pantenburg, V. (2020). Handbuch Filmanalyse. Springer VS.
Groß, B. (2021). Handbuch Filmtheorie. Springer VS.